Liebe Kukai-Freundinnen und -Freunde,
die Sommerurlaub-Haiku sind bewertet, die Punkte addiert, die internen 
Kommentare ausgetauscht. Und gewonnen hat: Gerda Förster vor Gerd Börner 
und Charlotte Eckert. Herzlichen Glückwunsch!
Jeder Teilnehmer sollte jedes Haiku bewerten. Drei Punkte bedeuteten 
dabei „finde ich gut.“ Zwei Punkte standen für „ist in Ordnung“. Ein 
Punkt hieß „gefällt mir nicht“. Von 29 Teilnehmern haben 27 abgestimmt. 
Den beiden Autoren, die nicht abgestimmt haben, wurde der rechnerische 
Vorteil von zwei Punkten vom addierten Ergebnis abgezogen. Bei gleicher 
Punktzahl wurden die Haiku in der alphabetischen Reihenfolge der 
Nachnamen veröffentlicht.
Wie zugesagt, habe ich mir in dieser achten Runde zu dem Haiku Gedanken 
gemacht, von dem ich glaube, dass es besonders innovativ sei. Wer sich 
damit auseinandersetzen möchte, findet den entsprechenden Text direkt 
nach der Liste der Kukai-Arbeiten.
Gelegenheit, sich zu den Haiku, den Platzierungen und eventuell auch 
meinen Worten zu äußern, besteht in der Kommentar-Funktion dieses Blogs.
Ich wünsche allen Autorinnen und Autoren sowie Leserinnen und Lesern 
eine gute Zeit. Bis demnächst!
Herzliche Grüße
Ihr und Euer
Ralf Bröker
Platz eins mit 61 Punkten
daheimgeblieben -
in den Gärten
die Stille
          Gerda Förster
Platz zwei mit 55 Punkten
ihr Kleid liegt noch
im Dünengras -
ich lächle zurück
          Gerd Börner
Platz drei mit 53 Punkten
Rue de Rivoli
im Laternenlicht
zerfließt der Tag.
          Charlotte Eckert
geteilter Platz vier
Fado —
die Nachtkerze erblüht
für den Kolibri
          Klemens Antusch
Pompeji
in der Mittagshitze
tanzt der Faun
          Ramona Linke
geteilter Platz fünf
Griechenlandurlaub -
im Reiseführer steckt ein
alter Drachmenschein.
          Tony Böhle
im Sommerurlaub
ein Tapetenwechsel
dritter Stock links
          Elisabeth Kleineheisemann
Auf dem Jakobsweg
mit dem Sommermond, baden
im Lac Léman.
          Anna Marie Neubert
Sommerhimmel      ein Flugzeug fliegt von einer      Wolke zur andern
          Monika Thoma-Petit
Platz sechs
Strandcafé –
An der Garderobe
Friesennerze
          Georg C. Sindermann
Platz sieben
Nacht am Ufer -
in einem Rettungsring
der Vollmond
          Cezar F. Ciobîcă
geteilter Platz acht
Johannistag --
wir tauchen ein ins Blau
der fernen Berge
          Gesine Becker
Badewetter -
die guten Vorsätze
fallen mir wieder ein
          Matthias Korn
Platz neun
Beim Möwenschrei
An den Strohhut stecken
Das Meeresrauschen
          Petra Klingl
Platz zehn
Nacht auf dem Strand -
noch in meinen Gedanken
die Stimme meines Chefs
          Christine Ailoaei
geteilter Platz elf
strandwanderung -
unsere spuren sind schon
verschwunden
          Bernd Balder
helle Sommernacht -
die Hängematte lächelt
die Mondsichel an
          Ioana Dinescu
kühler Tag im Juli -
vor dem Café wird trotzig
der Schaum gerührt.
          Ingmar Herr
eine Sandburg
im Schatten des Strandkorbs
noch immer Ebbe
          Silvia Kempen
geteilter Platz zwölf
letzter Urlaubstag –
am Horizont ein Segel
zwischen zwei Blaus
          Frank Dietrich
Platz 13
Schmetterlinge
just vorm Abflug - per SMS
der Pilgersegen
          Gabriele Reinhard
geteilter Platz 14
Im Reisekoffer
die bunte Badehose
von vorigen Jahr
          Zorka Cordasevic
terrasse der unendlichkeit -
im dunst verloren
himmel und meer
          Ruth Guggenmos-Walter
Platz 15
Am Ufer der Kahn.
Über das Wasser funkelt
die Morgensonne.
          Boris Semrow
geteilter Platz 16
Auf dem Reiterhof -
im Stall der Duft
verschwitzter Pferde
          Christa Beau
Sirenensingen.
Noch ein Blick zur Lorelei, -
flußabwärts, letztens
          Horst Ludwig
Platz 17
Dämmerung -
nur die Möwen läuft
in den Hafen ein
          Andra Andronic
geteilter Platz 18
die fußabdrücke
im sand sind meine – doch schon
vom wind verwischt...
          Gabriele Brunsch
Bordsteingeflüster,
eine schwüle Sommernacht
entladygt sich ...
          Beate Conrad
Merkwürdiges
Vorgenommen hatte ich mir (und den Teilnehmern versprochen), aus den 
Arbeiten zur achten Runde von Kukai 2010 diejenige herauszustellen mit 
der mich am intensivsten beeindruckenden Innovationskraft ...
... und jetzt sitze ich vor 29 Haiku zum Thema Sommerurlaub – und weiß 
kaum in Worte zu fassen, was sich gerade in meinem Hirn abspielt. Es 
würde mich also nicht wundern, wenn ich diese Zeilen, die ich gerade 
beginne, gleich wieder lösche. So wie die anderen Textanfänge vorhin 
auch ...
... nun wohl denn also: Ich traue mich. Und sage frei heraus: Ein ganzes 
Haiku voller Innovation ist mir nicht begegnet. Aber ganz bestimmt liegt 
das nicht nur an den Werken, die hier um des Lesers und damit auch um 
meine Gunst werben. Nein, es liegt vor allem an mir. Und vor allem an 
Fragen wie dieser: Was ist eigentlich Innovation?
Googeln kann man sie auf jeden Fall, diese Innovation. In den 
1990er-Jahren konnte man damit sogar Bundestags-Wahlkämpfe gewinnen. Und 
ganz bestimmt war jedes deutschsprachige Haiku, das nicht 5-7-5 und 
naturbezogen daherkam, in genau dieser Zeit ausgesprochen innovativ. 
Also anders. Modern. Diskussionsfördernd. Herausfordernd. Nervig. 
Unästhetisch. Hingerotzt, womöglich?
Aber heute? Es gibt keine Tabuthemen mehr im Haiku. Vielleicht hat es 
sie nie gegeben. Denn schon bei den alten Meistern aus Japan tropfte und 
fiel es aus allen Körperöffnungen, und auch im Tun war ihnen in der 
eigenen Praxis oder zumindest als Beobachter nichts Menschliches fremd.
Aber braucht es überhaupt den Bruch von Tabus um über das Thema zur 
Innovation zu gelangen? Auf keinen Fall! Im jüngsten SOMMERGRAS hat’s 
Dietmar Tauchner ja sehr lesenswert zusammengefasst:
Freilich wird es zunehmend schwieriger, beispielsweise ein nachhaltiges 
Haiku über „Kirschblüten“ zu schreiben, einfach weil dieses Sujet schon 
so oft aufgegriffen worden ist. Neue Sujets wie beispielsweise jene aus 
der Wissenschaft könnten lohnende Orientierungspunkte sein. Warum nicht 
einmal kühn ein modernes Haiku über ein Thema der modernen Kosmologie, 
zum Beispiel über „dunkle Energie“ verfassen?
Dunkle Energie
Vater verlässt
die Erde
 
          Dietmar Tauchner
Doch auch die Form kann uns zum Innovativen führen. Ja, bestimmt ist das 
möglich. HaikuNow! zeigt das für den englischsprachigen Haijin in aller 
Klarheit und Verstörung.
Doch was soll der Blick auf anderes: In unseren 29 Kukai-Beiträgen habe 
ich derart vollständige Ausbrüche aus Form oder Inhalt nicht erlebt. Was 
aber bleibt dann auf der Suche nach Innovation in dieser achten Runde?
Ich würde an dieser Stelle gerne etwas weiter ausholen und – man möge 
mir verzeihen – mich selbst zitieren aus einem Beitrag im Kukai-2010-Blog:
Ich bin sehr gespannt, ob die klassischen Vorurteile über Kukai und 
Jury-Wettbewerb bei diesem Wettbewerb bestätigt oder widerlegt werden: 
Dem ersteren sagt man ja nach, dass das Mittelmaß oft vorne, das gute 
Experiment aber stets hinten landet. Und dem zweiten wird vorgeworfen, 
dass die Besetzung das Ergebnis bestimmt. 
 
Mit diesem natürlich wieder viel zu lang geratenen Statement habe ich 
versucht, zur Teilnahme am ersten und sehr gut angenommenen 
SOMMERGRAS-Kukai der DHG aufzurufen.
Heute würde ich den Fokus gerne auf das Vorurteil dem Kukai gegenüber 
legen: dem Primat des Mittelmaßes. Man darf auch auf Neudeutsch 
Mainstream sagen. Von mir aus auch: Bewährtes.
Denn die Sache ist klar: Wer bei einem Kukai vorne landen will, setzt 
besser auf das sichere Pferd. Eins, das anderswo zwar von anderen 
Reitern und mit anderem Sattel, aber eben doch erfolgreich geritten 
wurde. Was ja auch kein Problem ist: Denn selbst wenn das Meiste 
irgendwann einmal bereits gesehen, gedacht und gefühlt worden ist: 
Längst nicht alles wurde auch schon in Deiner und Ihrer Sprache 
aufgeschrieben. Und nur das Wenigste wurde bereits veröffentlicht. Noch 
weniger natürlich als Haiku.
Es verbleiben dann immer noch große Mengen an Text. Mitunter findet sich 
darin auch beachtliche Qualität in Form und Inhalt. Eine Qualität, die 
unsere Erwartung prägt. Die wir uns aneignen. Die wir gerne lesen. Und 
schreiben.
Wie mutig muss also jemand sein, der sich bewusst den vielen bekannten 
Qualitäten und den noch häufigeren Klischees in unserer lauten und 
bunten Effekt- und Bilderwelt widersteht – und einen neuartigen, ganz 
individuellen Knall riskiert? Womöglich auf die Gefahr hin, dass bei den 
meisten Lesern die mit Herzblut geschaffene Klangkulisse als 
Rohrkrepierer wahrgenommen wird? Oder als unverständlich?
Genau so ist es in diesem Kukai – absehbar – dem Bordsteingeflüster 
gegangen, das uns mutig eine schwüle Sommernacht entgegen geschleudert. 
Eine schweißtreibende Angelegenheit findet hier Raum und Zeit. Offenbar 
wechseln ein paar Scheine. Aber trotzdem ist die früher bestimmt 
tabubrechende Szene bis hierhin kaum innovativ. Bis sie sich entladygt ...
Bitte was? Entladygt? Was soll das denn sein? Und was soll das heißen? 
Werden da Huren rausgeworfen? Oder streift der Escort-Service das 
Damenhafte ab und dann – natürlich nur in meinem Kopf – die 
Domina-Handschuhe über? Fliehen da schlicht ein paar Prostituierte vom 
Straßenstrich? Weil die falschen Rocker kommen? Unangenehme Freier? Die 
Polizei? Oder steigen sie einfach nur nacheinander ein in die Wagen 
ihrer Kunden?
Das Tempo des Verschwindens dieser Ladies scheint mir einerseits 
oberklassig vornehm zu sein. Die sprachliche Nähe zu erledigt, 
entledigt, entleibt hinterlässt aber andererseits mehr als nur einen 
Hauch von Gewalt. Und auch wenn da Witz aufblitzt in dieser Zeile – von 
heile Welt keine Spur. Mensch, da wagt jemand zu dichten.
entladygt sich ist eine mutige Zeile. Eine Zeile weit jenseits des 
Mainstream und Bewährten. Was hohe Punktzahlen in einem Kukai 
unwahrscheinlich macht. Also bin auch ich mutig und stelle mich dem 
Votum der meisten Kukai-Teilnehmer entgegen: Von mir gibt's klare drei 
Punkte. Das heißt: unbedingt veröffentlichen. Weil so etwas 
Ungewöhnliches möchte ich öfter lesen. Mich aufregen. Doof finden. Mich 
herantasten. Gut finden. Verwerfen. Zurückkehren. Zur mir finden.
Was ist Innovation, wenn nicht das? Mutiges und Verstörendes. Vorurteile 
Zerbrechendes und Neues Präsentierendes. Und in Bashos Sinne: Merkwürdiges.
Die Wortschöpfung entladygt sich ist Innovation.
Ich lass das mal so stehen.
vor 11 Minuten
 
