für die dritte Runde von Kukai 2010 haben 32 Teilnehmer(innen) Haiku eingereicht, das "Projekt" wächst also weiter. Schönen Dank dafür.
Diesmal gibt es zwei Haijin, die in der Endauswertung ganz vorne liegen: Gerda Förster und – erneut! – Christa Beau haben jeweils 19 Punkte bekommen und teilen sich den ersten Platz. Es folgt knapp dahinter mit 18 Punkten Monika Thoma-Petit. Herzlichen Glückwunsch!
Zwei Haiku haben es leider nicht in die Punkte geschafft. Diese Haiku sind anonymisiert. Zwei Haiku wurden zurückgezogen, die dafür vergebenen Punkte wurden nicht erneut vergeben.
Zwei Teilnehmer haben nicht voten können. Deshalb habe ich zwei frühere Kukai-2010-Haijin gebeten einzuspringen. Ramona Linke und Georges Hartmann haben dabei jeweils das Haiku des zu vertretenen Autors nicht bewertet. Vielen Dank an beide!
Zur Redaktion der Endauswertung: Ich habe jene Bindestriche, die wahrscheinlich aus technischen Gründen als solche gesetzt worden sind, durch Gedankenstriche ersetzt. "Druckfehler" habe ich nicht korrigiert, sondern auf Signale der Autoren gewartet. Dies gilt auch für die zum Teil nicht dem Duden entsprechende Zeichensetzung beziehungsweise Rechtschreibung in den Haiku und Kommentaren. Allerdings habe ich die Kommentare jeweils zu einem Absatz zusammengefasst und gegebenenfalls Absätze durch Schrägstriche ersetzt.
Zudem bin ich gebeten worden, den jeweils Kommentierenden zu benennen, um einen Gesamtüberblick über die Entwicklung des deutschsprachigen Haiku zu erleichtern. Da ich weiß, dass die in Internet-Kukai übliche anonyme Kommentierung das Schreiben derselben sehr fördert, möchte ich aus dieser Bitte keine Pflicht machen. Statt dessen möchte ich es meinerseits den jeweiligen Kommentatoren überlassen, ob sie ihren Namen dazu nennen möchten. Ein kurzer Hinweis an mich beziehungsweise eine Korrektur der hier vorgenommenen Einträge genügt.
Viele Grüße, vielen Dank!
Euer und Ihr
Ralf Bröker
PS: Wer mit Kritik oder Anregungen helfen möchte, schreibt mir bitte oder kommentiert im Blog. Diskussionen sind auch hier ausdrücklich erwünscht!
Platz eins, 19 Punkte
Im S-Bahntunnel –
zwischen Graffitiwänden
bunte Herbstblätter
Christa Beau, 3-0-10
Sehr stimmungsvoll, sehr nacherlebbar, gänzlich unaufgeblasen, genial!
***
Herbstblätter im S-Bahntunnel? Wie kommen die da hin?
***
Interessanter Kontrast! Die Farben des Herbstlaubs lassen die Graffitis plötzlich blass erscheinen…
***
Hier kommt eine synergetische Zusammenspiel der Farben und Bewegungen in Gang, das den Herbstcharakter aufnimmt. Die Zäsur wäre verzichtbar.
Umarmung –
sein Duft
nach Erde und Kartoffelfeuer...
Gerda Förster, 2-2-9
Der Andere ist in der Umarmung gesichtslos und vom Duft nach den Elementen umgeben: die Geburt einer neuen Vertrautheit.
***
Ein bißchen Klischee-Haiku, aber auch mit Wirkung.
Platz drei, 18 Punkte
Indianersommer
in meinem Buntstiftkasten
fehlen Farben
Monika Thoma-Petit, 1-5-5
welche? vielleicht orangerot
***
Dieses Haiku bringt zu einem sonst ausgebrauchten Thema einen neuen Aspekt, die Kriegsbemalung. Über die Verschriftung stolpert sich's etwas.
Platz vier, 13 Punkte
Herbstlicher Abend.
Auf schwerer Erde dampft
ein Pferdeapfel.
Beate Conrad, 0-5-3
Platz fünf, zwölf Punkte
den Brotlaib wiegen
ihr Lächeln rundet
den Mond
Gabriele Reinhard, 0-2-8
Ein assoziationsreiches Haiku. Obwohl mit keiner Silbe erwähnt sehe ich eine schwangere Frau vor mir, einfach klasse.
***
Schade. So viele Haiku über die Rundungen (und dem Gesicht) im expressiven Vergleich, schon ein Klischee. Infinitive sind im Haiku zu vermeiden. Sie lassen den Leser im Unklaren wer wiegt oder soll wiegen ... "An der Brotwaage" klärte das und vergäbe nichts von der Haikuintention. Aber das Wesentliche: Das Brot ist sicher ein wichtiges Haikuthema, aber ebensowenig jahreszeitlich gebunden wie der (Voll-)Mond in unserer Kultur allein noch keinen Herbst macht.
Platz sechs, elf Punkte
Blatt für Blatt
entreißen die Bäume dem Wind
sein Sommerrauschen
Katrin Kuhn, 0-3-5
dieses Gedicht hat mich am meisten beschäftigt, die innere Sinnverbindung von "entreißen" "Wind" und "Sommerrauschen" scheint mir nicht stimmig, gehören zum "Entreißen" nicht "Schmerzen","Schreie", veilleicht "Aufbäumen" oder stärkerer "Sturm"? das Bild vom "Sommerrauschen" selbst finde ich sehr schön. dass "die Bäume dem Wind sein Sommerrauschen" entreißen ist ungewöhnlich wie kommt es, dass es so herum ist ? hierzu fehlt mir an irgendeiner Stelle im Haiku noch eine Nuancierung, in der das sehr schöne Bild eine volltönende Klangschale würde der ersten Zeile nochmals ein "für Blatt" hinzuzufügen, wäre für mich das stärkere Bild für die Impression des Entreißens und dass es auch wehtut, "vom Sommer in den Herbst zu gehen", mal ganz abgesehen davon, dass auch fünf Silben für die erste Zeile entstünden, - auch nicht schlecht -
***
Hier stolpere ich etwas über die Formulierung "dem Wind sein Sommerrauschen". Interessant an dem Text ist die Umwandlung des Rauschens, wenn auch mit "entreißen" und der Wirkursachevertauschung etwas expressiv angelegt.
Mauersegler –
von den Schatten gehoben
ins letzte Licht.
Volker Friebel, 0-2-7
Mauersegler im Herbst? Nie gesehn.
***
"Schatten" und "letztes Licht" für sich genommen sind keine jahreszeitindizierenden Verweise. Die Mauersegler sind eine Erscheinung, die dem Sommer zugeordnet wird. So verstärken hier Licht und Schatten den Sommerabend (schärfere Konturen). Sonst ein schöner Text, aber leider nicht ganz im Rahmen der Herbst-Aufgabenstellung dieses Kukai.
Platz acht, acht Punkte
Tropfen trommeln und
zeichnen auf die Scheibe
den Takt der Böen
Dee, 0-2-4
Schöne Lautmalerei, die den Text verstärkt.
***
ich habe mit dem Gedicht gespielt, es hat Spaß gemacht: den Takt der Böen/tropfen Trommeln und zeichnen/ihn durchsichtig auf
***
Noch ein Takt-Haiku. Der Bruch nach "und" in der ersten Zeile zur zweiten scheint nicht gerechtfertigt. Jahreszeitlich: Wind und Regen gibt es ganzjährig. Ein ergänzendes scharf, schneidend, kalt verdeutlichte m. E. etwas besser eine herbstliche Stimmung.
Platz neun, sieben Punkte
warmer Herbstabend –
die lethargische Fliege
ertrinkt im Bier
KRZYSZTOF KOKOT PL, 0-2-3
Ein Text mit Humor, der etwas vom Sich-der-Vergänglichkeit-Ergeben, vom herbstlichen Fatalismus anklingen läßt! "Lethargisch", eigentlich eine Interpretation, ist jedoch wirkungsvoll. Leider nimmt "ertrinkt" die Wirkung zurück. "trinkt vom Bier" oder "schwimmt im Bier", überließe die Schlußfolgerung dem Leser.
Manchmal fällt ein Blatt
springt ein Vogel auf den Weg
kein Wort in der Luft
Maren Schönfeld, 0-2-3
Sehr lebendiges Haiku, schöner Rhythmus, stimmungsvoll
***
eine schöne Beobachtung in den ersten beiden Zeilen, die dritte Zeile schließt sich irgendwie eckig an, ein runderer Kommentar fällt mir leider nicht ein
***
Die fortgeschrittene Stille des Spätherbstes.
Windstille –
ein letztes Blatt schwebt
in den Schlaf
Simone Knierim-Busch, 0-1-5
eine Anregung, vielleicht mehr auszuprobieren, vielleicht auch noch den "Traum"? ganz still ist der wind ein letztes Blatt schwebt/singt/sinkt leise in seinen Schlaf
***
Ob es das letzte Blatt ist, läßt sich wohl schwer sagen. Vorsicht mit "Absolut-Ausdrücken" im Haiku; es sei denn man relativiert sie im gleichen Augenblick im Text: "wohl ein letztes Blatt schwebt" (wohl: anzunehmen, wahrscheinlich). Sonst gut.
Platz zwölf, sechs Punkte
Altes Krähennest
fliegt über das dunkle Feld.
Der erste Herbststurm.
Bernd Reklies, 0-3-0
das alte Krähennest finde ich sehr spannend, löst viele Begleitbilder aus dass es "fliegt" löst eine Assoziation von Bumerang oder fliegender Untertasse, also Flug auf gleichmäßiger Höhe aus, was nicht sehr gut in Verbindung mit "Sturm" aufgeht, wird es rollend getrieben, wirbelt es auf und ab, wo war es vorher ? oder ist der Ort von dem es kam, nicht mehr bekannt, wieso ist das Feld "dunkel", weil es Nacht ist? oder weil es abgeerntet ist und man bei Tag die Ackerkrume sieht?
***
Hier wirkt die letzte Zeile als Erklärung; eine simple Umstellung hin zur ersten Zeile änderte das schon. Ansonst ist noch etwas sprachliche Arbeit nötig: "Altes Krähennest fliegt ..." ist ungebräuchlich, telegramstilartig.
Der alte Weiher –
die Trauerweide streichelt
die letzten Kraniche
Cezar-Florian Ciobîc, 0-1-4
So melodisch, melancholisch, altmodisch... das Bild rührt mich an.
***
sehr schön, ich würde in der dritten Zeile nur "letzte Kraniche" schreiben ein sehr poetisches Echo "ins innere Japan", eine Bitte: vielleicht bei der Auswertung mit * hinzufügen, was die Kraniche im japanischen Sinnbild bedeuten
***
"die Trauerweide streichelt" ist eine Personifikation, die im Haiku besser zu meiden ist.
Platz 14, fünf Punkte
Durch die Nebelwelt
schneidet der helle Kürbis,
lächelt so fröhlich.
Mario Wurmitzer, 0-0-5
Der Eindruck bzw. die Erfahrung ist hier gut nachvollziehbar, allerdings stört mich das Verbum „schneidet“: es trifft’s nicht richtig, scheint mir. Und warum darf der Kürbis nicht einfach nur lächeln, ohne jenes „so fröhlich“? Er durfte es wohl um der 5-7-5-Silbenstruktur wegen nicht?
***
Korrespondenzen - ich bin gespannt, wer es geschrieben hat, aber eigentlich weiß ich es schon leider auch ein aber: kann eigentlich ein heller Kürbis so viel Kontrast zur "Nebelwelt" haben, dass er diese "durchschneidet"?
***
Nebel allein stellt noch kein eindeutiges Kigo dar, aber der Kürbis weist ihn als herbstlichen Nebel aus. Ansonst vertrüge der Text noch etwas Überdenken.
Platz 15, vier Punkte
brennholzlieferung
auch die nachbarin hat schon
holz vor der hütte
Sonja Raab, 1-0-1
Nach meinem Geschmack ist das Wortspiel eher fad und stört
***
Ein recht senryûhafter Text, der stark vom etwas oberflächlichem Sprachspiel lebt. Die Übergänge vom Senryû zum Haiku sind zwar fließend, aber dieser Text ist schon mehr dem Senryû zuordnen. Alles an einem Text sollte Funktion haben, so auch seine Verschriftung.
Der Brombeersträucher
Früchte, schwarz in den Augen
glänzen sie Dir nicht?
Christian Nobmann, 0-1-2
die innere Korrespondenz zwischen Brombeerfrüchten und Augen finde ich sehr schön beim Umstellen könnte sich das "es" verlieren: Der Brombeersträucher / Früchte erglänzen Dir nicht? / tiefschwarze Augen
***
Das mit den Brombeeren ist jahreszeitlich etwas schwieriger einzuordnen. In Japan gehören sie in den Sommer, sogar zum Frühsommer, in Deutschland werden sie und die meisten (Wild-)Beeren dem Sommer zugeordnet, in Nordeuropa wie Irland dem Herbst. Davon abgesehen ist es ein nicht ganz uninteressanter Text, denn der impliziert auch schon das Verdorbene (warum sie vielleicht nicht glänzen) trotz oder auch gerade ob der Klischeeverbindung zu den Augen.
Mit gelben Birnen
besucht mich die Bekannte,
noch leicht gekleidet.
Horst Ludwig, 0-0-4
Bringt gut den Goldenen Herbst ins Bild (Gelbe Birnen - Reife und Licht / leicht gekleidet – Wärme)
***
Ein erfrischender Text, der schon etwas ins Senryûhafte gleitet und sprachklanglich gut gestaltet ist. Und die gelben Birnen (also reif) sind hier auch ein gut gewähltes Herbst-Kigo. Baumfrüchte sind herbsttypisch, ihr Blüten hingegen sommertypisch.
Erster Bodenfrost
Bäume verstoßen ihr Laub
scheinbar mühelos
Petra Stöger, 0-0-4
Das „verstoßen“ im Zusammenhang mit Bäumen passt meines Erachtens nicht.
***
was sieht man beim ersten Bodenfrost am Boden selbst? ich weiß das nicht sehr genau, könnte mir aber vorstellen, dass tiefer und genauer zu schauen und Worte dafür die erste Zeile lebendiger machen könnten
***
"Verstoßen" ist Interpretation des Autors. Ein "abstoßen" hätte das Intendierte sicher auch befördert.
Platz 19, drei Punkte
Erhaben schwebend
In der Ferne schwindend
Vögel des Glücks
Pusta, 1-0-0
Sehr, sehr unterschwellig klingt hier der Vogelzug (als herbstverweisendes Thema) an, aber klanglich schön mit schwe-bend, schwin-dend gebaut. Ob Artikel "der" mit "die" ausgetauscht werden könnte, um den Vogelzug etwas klarer erscheinen zu lassen? Das gewagte "Vögel des Glücks" beinhaltet einige Erhabenheit, sodaß ersteres vielleicht mit "hoch oben schwebend" oder "weit oben schwebend" ersetzt werden könnte.
Traktorenmusik
taktet über den Feldern
Drachen im Tanz
Heinz Schneemann, 1-0-0
Hatte zuerst den Eindruck, dass das Verbum „taktet“ überflüssig wäre; erst nach einer Weile dann hab ich bemerkt, wie gerade jenes „taktet“ auf eine recht anschauliche Weise dieses ruckartige Auf und Ab von Drachen im Wind suggeriert…
***
Ohne "taktet" wäre dieses Haiku interessant und überließe dem Leser die Choreographie. Vielleicht rührt das "taktet" aus der Diskussion bei haiku.de?
Nasse Lärchen
Das Kind lernt zählen
an Pfifferlinge
jeanne waltz, 0-1-1
Hier habe ich ein Verständnisproblem. Entweder ich stehe auf der Leitung oder es ist ein Beitrag eines ausländischen Haijin? Täte mir leid, aber ich komme mit dem Text nicht klar.
***
das Bild ist schön und braucht mehr Detail. von was sind die Lärchen nass ? von Regen, Tau, nach Gewitter, im Gewitter, fallen Tropfen herab, gibt es Nebel? das Kind? Ein/e Dreijährige/r? Die Pfifferlinge? Schon im Korb oder noch vor dem Gepflückt-Sein oder in wessen Hand?
***
Beim Pilzesammeln und -zählen. Auch das übertragene, was keinen Pfifferling wert sein könnte, also Erlernen von Werten vermittelt der Text. Ich stolpere etwas über die Formulierung "lernt zählen an Pfifferlinge(n)".
Platz 22, zwei Punkte
Herbstlaub und Drachen –
das Jahr feiert sich noch mal
in allen Farben
Bernd Balder, 0-0-2
anstelle "sich noch mal" besser "Erntedank", da ist alles drin
Platz 23, ein Punkt
Die Frühherbstsonne
sickert durch die Baumkronen
langsam und zaghaft.
grawner
Ich kann mir eine sickernde Sonne irgendwie nicht recht vorstellen.
***
mir ist im Bilde unklar, ob die "Frühherbstsonne" die frühe Morgensonne im Herbst ist oder die "sattere" Nachmittagssonne, der Frühherbst lichtet Baumkronen, vielleicht mehr spielen mit "Baumkrone" und "Licht", die Worte "langsam und zaghaft" finde ich sehr zärtlich, gibt es irgendwo Nebel?
***
Hier habe ich den Eindruck, daß die letzte Zeile nichts neues zum "sickert" bringt. Somit bliebe hier Raum für ein weiteres Bild.
einsamer bach durchschlängelt fröhlich das tal gesäumt von bunten bäumen
Norbert Jessenizschnig
Ich bin kein Freund von Einzeilern, hier spiegelt er aber bildlich den Verlauf des Baches. Gefällt mir.
***
das ist lustig und in schlangenlinien geschrieben bestimmt noch besser, leider kann ich es nicht als haiku empfinden
***
Auch hier ist das Sprachliche etwas zu überarbeiten: "einsamer bach durchschlängelt". "Fröhlich" ist eine Personifikation, die im Haiku besser unterbleibt und eigentlich auch schon im "durchschlängelt" ausgedrückt ist.
Oktoberabend –
eine kleine Zigeunerin verkauft Sträuße
aus den gelben Blättern
Andrzej Dembonczyk, Silesia, Poland
ein sehr schönes Bild, leider viel zu viele Silben in Zeile 2, ich würde "den" in Zeile 3 weglassen
***
An sich ein schöner Text, nur etwas lang gemäß der 5-7-5-Silben für ein Haiku. Vorschlag: Oktoberabend. -/ Die Zigeunerin verkauft / Sträuße aus Blättern. --> Goldblättersträuße ginge vielleicht auch.
Grüße vom Balkon
den Sommer lang...blattlos nun
ist's der Papagei
Bernadette Duncan
Tau fällt –
Wo ich eben noch saß,
sitzen jetzt die Fliegen.
Michael Lindenhofer
Hier wiederum das Problem der falschen Kigo. Zum einen sollte man damit sparsam umgehen. Hier wurden gleich 2 Sommerkigo (Tau und Fliegen) verwendet. Auch der restliche Kontext steuert nicht in Richtung Herbst. Fazit: Leider nicht den im Rahmen der Herbst-Aufgabenstellung dieses Kukai getroffen.
***
Das obige Haiku ist an einem Abend im Frühherbst entstanden und erfüllt allein schon dadurch jene „Herbst-Aufgabenstellung dieses Kukai“. Und andrerseits: seit wann ist Tau ein Sommerkigo? Bei Basho beispielsweise kommt der Terminus tsuyu (japanisch für Tau) in insgesamt 14 Haiku vor, und jedes einzelne davon hat einen eindeutigen Bezug zum Herbst, einmal durch den jeweiligen Kontext und andrerseits auch durch die Tatsache, dass bei vielen seiner Haiku das jeweilige Entstehungsdatum bekannt ist. David Landis Barnhill vermerkt in seinem Buch Basho’s Haiku zum Begriff tsuyu: „A symbol of impermanence“, also Tau als Symbol der Vergänglichkeit. Die Fliegen im obigen Haiku wollen nicht als Kigo verstanden sein: es sind das einfach jene letzten Fliegen, die vor der plötzlichen Kühle des Abends die Wärme suchen und sich auf dem von meiner Körperwärme angewärmten Holz einer Sitzbank versammeln… Im obigen Kommentar heißt es im Fazit: „Leider nicht den im Rahmen der Herbst-Aufgabenstellung dieses Kukai getroffen.“ Eine fehlerhafte Syntax deute ich immer als einen Mangel an Aufmerksamkeit, der legitim sein mag, allerdings in Sachen Haiku fehl am Platz ist. --- Michael Lindenhofer
Lose Blattsammlung
von Ocker bis dunkelbraun
der Himmel so blau
Eva Warweg
Schlicht und einfach. Nicht ganz neu, aber doch lebhaft umgesetzt.
Diesmal leider keine Punkte
Wehmut im Schatten
der Worte – Brokat des Herbstes
aufflammender Sinn
Hier fehlt mir die Natürlichkeit. Der Text ist nach meinem Geschmack zu sehr aufgetragen und nicht griffig für den Leser
***
Mit der Erwähnung der Wehmut wurde hier der aufflammende Sinn leider schon vorweggenommen. Dem Leser bleibt da nicht mehr viel Raum. Der Text hat etwas setebzhaftes an sich. Haiku bedient sich einer schlichter Sprache.
Novembermorgen.
Unterm Nebel das Leben,
Hoffnung auf Sonne.
das Bild vom Novembermorgen finde ich schön, "das Leben" im Haiku ist mir zu groß vielleicht aus Zeile 2 "eingeschlossen im Nebel" machen?
Spezielle Kommentare
#30 wäre ein besseres Haiku, wäre in b der Komparativ "schwererer" verwendet worden. Auch #29 wäre ein besserer Text, verwendete c nur "letzte Kraniche". Wie weiß denn der innere Sprecher, daß es wirklich "die letzten" sind? Das wäre nur richtig, wenn er selbst danach gleich stirbt. Beide Texte sind aber mit den vorgeschlagenen Abänderungen beachtliche Haiku.
Allgemeine Kommentare
Die Haiku haben Freude gemacht!
***
So tut es insgeheim weh, den als sehr gut oder auch spannend empfundenen Gedichten nur 2 oder 1 Punkt geben zu können, einfach, weil dieses Mal mehr Gute dabei sind.
***
Ich finde, die beiden Gewinner-Haiku haben ihren ersten Platz verdient und möchte den beiden Gewinnerinnen gratulieren. Allerdings bin ich angesichts des Grammatikfehlers "... lernt zählen an Pfifferlinge" ein bisschen perplex. Vielleicht würde es sich lohnen, sich für die zukünftigen Runden über die Frage zu verständigen, ob zu einem gelungenen und überzeugenden Haiku auch die fehlerfreie Beherrschung der deutschen Sprache gehört (zumindest was Rechtschreibung, Grammatik und Syntax betrifft – bzgl. der Zeichensetzung und der Groß-und Kleinschreibung wäre ich toleranter). --- Monika Thoma-Petit
Nach Teilnahmeschluss eingegangene Herbst-Haiku
mit wildem toben
hüpfen sie durchs blättermeer
gold in den haaren
Gabriele Brunsch
Vom Birnbaum
fällt nur noch welkes Laub
aufs raureife Gras.
Georges Hartmann
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen